Diversität am Arbeitsplatz
Was bedeutet „Diversität am Arbeitsplatz“? Ist es eine unternehmerische Pflicht, ein Mangel, ein Imagepolierer der Corporate Identity? Und wie könnte dies letztlich in der Praxis aussehen?
„Wenn ich eine Stunde Zeit hätte, ein Problem zu lösen, würde ich 55 Minuten damit verbringen über das Problem nachzudenken und fünf Minuten mit der Lösung.“ (Albert Einstein)
In zwei Jahrzehnten der Erwerbstätigkeit war eine Sache für mich immer klar: dass die Diversitätsoffenheit meines Arbeitgebers für mich zwangsweise ein Thema ist, anders als bei meinen Freund*innen ohne Migrationsvordergrund (=sichtbarer Migrationshintergrund).
Ein ehemaliger Arbeitgeber von mir setzte gezielt auf sichtbare Weltoffenheit: der Messeveranstalter meiner Heimatstadt. Während einer internationalen Lebensmittelausstellung konnte ich etwas erstaunliches in puncto Diversität beobachten. Drei Kolleginnen und ich regelten zusammen den exklusiven Zutritt zur Business Lounge. Dieser war den Big Playern der Branche, den Einkäufern von weltweit agierenden Supermarktketten vorbehalten. Die Vertreter*innen von Walm***, mit denen wirklich jeder der 8.000 Aussteller einen Vertrag wollte, kamen täglich für ein ungestörtes Mittagessen in die Lounge. Diese Geschäftsleute faszinierten mich, denn sie blieben 1. trotz des Daueransturms stets professionell und waren 2. komplett divers aufgestellt. Es war bemerkenswert, statt in Kostüm oder Anzug zu erscheinen, zeigten sie ihre eigene Identität stolz, präsent und gepflegt in äußerst individueller Bekleidung.
Diversität war ihre Stärke. Die angebotenen Produkte und Deals wurden durch das Team mit bewusst unterschiedlichen Erfahrungen, Ansichten und Wünschen geprüft; immer mit der Frage wie breit die Nachfrage und somit auch der Absatz wären.
Diversity wins (McKinsey Report 2020)
Meine Beobachtungen wurden durch eine 2020 veröffentlichte Studie von McKinsey bestätigt. Darin heißt es, dass Unternehmen mit hoher ethnischer Diversität, eine 36% höhere Wahrscheinlichkeit zeigten überdurchschnittlich profitabel zu sein – mehr noch wenn diese innerhalb der Top-Managementebene bestand.
Was heißt das jetzt? Sollte man einfach einen Quoten-BIPoC (=Black, Indigenous, People of Color), am Besten eine Quotenmigrantin irgendwo sichtbar installieren und dann wuppt der Laden? Wohl kaum. Denn die Studie besagt weiter, dass Unternehmen signifikant erfolgreicher waren, wenn sie fortlaufend und proaktiv Maßnahmen zur Inklusion im Arbeitsalltag umgesetzt hatten und in gleicher Weise eine kritische und differenzierte Auseinandersetzung mit der eigenen Unternehmensstruktur nicht scheuten – immer mit dem Ziel neue Lösungen zu finden. Offenheit ist also eine entscheidende Stellschraube für gute Geschäftsberichte. Wer hätt’s gedacht.
Das betrifft vielleicht nicht alle Berufe. Ich will nicht ausschließen, dass es auch Tätigkeiten gibt, bei denen statische Abläufe und Strukturen sehr gefragt sind. Die gleiche Handbewegung, die gleichen Phrasen, die Monotonie, von der Jugend bis zur Altersschwäche, tagein, tagaus, jede Woche gleich, keine ungewohnten Fragen, keine Herausforderung, keine Entwicklung. Wie zukunftssicher solche Praktiken sind, weiß ich nicht. Allzu optimistisch wäre ich hier allerdings nicht.
„We cannot change what we are not aware of, and once we are aware, we cannot help but change.“ (Sheryl Sandberg)
Vielfalt ist wichtig für Entscheidungen. Ich saß leider auch schon an Tischen, an denen es während der Lösungsfindung allein darum ging, der Autoritätsperson zuzustimmen. Es ist jedes mal, als würde man einer Sitcom zuschauen, wenn die übereifrigen Angestellten, angefangene Sätze der Chefin schnell komplettieren und so tun, also hätten sie genau den gleichen Gedanken gehabt. Mal abgesehen davon, dass es etwas wenig Rückgrat zeigt, ist es auch kein wertvoller Beitrag zur Diskussion. Ist eine Lösung wirklich die beste, wenn sie die einzig vorgeschlagene war? Man weiß es nicht, denn es kann keine Gewissheit oder Weiterentwicklung geben, wenn der Status quo nicht produktiv in Frage gestellt wurde.
Damit Meetings nicht wie oben beschrieben frustrieren und den Stempel „Hätte jetzt auch einfach eine E-Mail sein können!“ aufgedrückt bekommen, braucht es mehr Diversität für mehr Perspektiven und einen soliden Kontext.
Das fängt bereits bei den Stellenausschreibungen an. Fördert man unbewusst den Einheitsbrei? Ist die Vakanz auf die gleichen weißen Cis-Männer aus privilegiertem Hause zugeschnitten, bei denen die Ehefrauen die gesamte Care-Arbeit übernehmen?
Man sollte die Zeit investieren darüber nachzudenken, wie man gute, diverse Stimmen für das Unternehmen gewinnt und wie man sich gezielt auf Fortschritt vorbereiten möchte.
Für die Mitarbeiter*innen bedeutet das gleichzeitig, authentisch zu bleiben und nicht kopieren zu wollen. Wer bist Du? Was ist Dein Standpunkt zu alldem und warum? Und vor allem bedeutet es zuzuhören, hinzuhören und verstehen zu wollen, was die eigentliche Fragestellung ist. Wenn man dann noch einen überlegten Lösungsvorschlag äußert, ohne egoman recht haben zu wollen, wird man erfahrungsgemäß zum wichtigen Diskussionspartner. Oder habt ihr das anders erlebt?
„Auf einen darfst du neidisch sein – auf den, der du dir vorgenommen hast zu sein.“ (Rolf Dobelli zitiert seine Frau)
Es gab beruflich viele nervige Situationen in meinem Leben: bei Beförderungen wegen fadenscheiniger Gründe übergangen zu werden, signifikant weniger zu verdienen als meine Kolleg*innen trotz höherem Arbeitspensum und mehr Verantwortung, schlechte Bewertungen mit unlogischen Begründungen, Kolleg*innen die meinen Namen als federführend löschten und ihren unter meine Arbeiten schrieben und Chefs die das in Ordnung fanden (das nennt man dann wohl Plagiat), rassistische Witze in meiner Anwesenheit, sexuelle Übergriffigkeiten und Chefs die das in Ordnung fanden… Diese und ähnliche Vorfälle machen mich natürlich wütend und traurig, sie ziehen mich runter – so wie jeden Menschen.
Es muss sich etwas ändern in unserer Arbeitswelt. Der stete Wandel ist zwar da, aber er ist träge. Um die eigenen Nerven zu schonen, kann ich jedem nur raten, sich stark auf die eigene Entwicklung zu konzentrieren. Heute besser als das gestrige Ich sein zu wollen, ist der beste Fokus für ungestörte Verbesserung.
Der gelegentliche Check-Up zur Chancengleichheit und Identifikation mit dem eigenen Unternehmen sollte zu produktiven Überlegungen führen, wie die Arbeit gerechter und besser werden könnte – oder im Zweifelsfall, wo sie besser sein könnte. Als Architektin denke ich auch hier gerne in Utopien: ‚Wenn es keine Grenzen, keine Bedingungen gäbe, wie würde es dann aussehen? Was wäre das absolute Traumszenario?‘ Danach überlegt man sich, wie man Teil der Lösung sein könnte. Als kluger Mensch fällt Dir was ein, daran glaube ich fest.
„There are two ways to have the tallest building in town. One is to tear everyone else’s building down, and the other is to build your building taller.“ (Jim Rohn)
Ich habe nie verstanden, wenn Kolleg*innen mich klein halten wollten. Denn ich meinerseits habe es meistens geliebt Menschen zu fördern. Jedes Talent wertet meinen Berufsstand auf, jede ernstzunehmende Konkurrenz wird zum wundervollen Sparringpartner, der einem zu neuen beruflichen Höhen verhilft. Von tollen Mitstreiter*innen kann man nur profitieren.
Warum nur schweifen einige davon aus, dass sie besser als die Menschen sind, die sie im gleichen Satz diskreditieren? Möchte ich denn besser sein als Menschen, dessen Tun ich im Grunde verachte? Ist es nicht schöner sagen zu können, dass man sich mit den Allerbesten misst? Fördert Talente – auch diverse!
Bei einem Sommerspaziergang erläuterte ich einer Architekturkollegin meine Ansichten zu Missständen in meinem Büro. Die Diversitätsquote war hier zwar hoch, aber leider war die Projektleiterebene traurig homogen. Befördert und für Führungspositionen gefördert wurden fast ausschließlich weiße Männer. (Anmk.: Ich selber war nach 12 Jahren Firmenbestehen die erste und einzige BIPoC Projektleiterin dort.) Ich bezeichnete die internen Strukturen im Gespräch als problematisch rassistisch. Zu meiner Überraschung reagierte sie ungehalten. „Rassismus gibt es heutzutage nicht mehr! Das bildest du dir ein!“, war ihre bestimmte Antwort. (siehe dazu racial gaslighting von RosaMag) Nach einem abschließenden Satz dazu wechselte ich das Thema. Zwei Straßen weiter erzählte sie von ihrer Dozententätigkeit: „Bald fängt das neue Semester an. Hoffentlich habe ich dann viele deutsche Studenten. Wenn ich auf der Anmeldeliste zu viele [ausländische] Namen lese, weiß ich schon, dass die Noten schlecht werden.“ Ich war baff. Was für eine Ironie.
Scheitern ist nicht das Gegenteil von Erfolg. Es ist Teil davon.
Wenn man auch mal daneben lag, falsche Entscheidungen getroffen hat oder die eigenen Bemühungen nicht zum gewünschten Ergebnis geführt haben, ist es wichtig den Kopf nicht in den Sand zu stecken.
Ich hatte als Studentin mal einen Einsatz auf einer Möbelmesse, bei der sämtliche chinesische Aussteller in einer Halle weitab des Besucherstroms untergebracht wurden. Sie waren natürlich aufgebracht, dass sie bei gleicher Standgebühr eine so unprominente Ausstellungfläche zugewiesen bekamen, die kaum ein Besucher finden konnte. Als erste Ansprechpartnerin für diese Beschwerden wurde aus unerfindlichem Grund ich vor Ort installiert. Auch nachdem ich einem Verantwortlichen erklärte, dass ich kein Chinesisch spräche, sondern als deutsch-Koreanerin allenfalls Koreanisch, wurde die Fehlplanung leider nicht korrigiert. In Folge wurde also tatsächlich Geld dafür ausgegeben, dass meine Haupttätigkeit während der Veranstaltungstage darin bestand, sämtlichen, ohnehin schon verstimmten Geschäftsleuten zu erklären, dass ich ihnen als Koreanerin nicht auf Chinesisch antworten konnte. Die Entrüstung über die so eindeutig manifestierte Ignoranz der Veranstalter war groß.
Das ganze ist schon ein paar Jahre her. Heute gibt es hoffentlich auch in diesem Team progressivere Abläufe und eine gesunde Fehlerkultur. Ich habe aus der Erfahrung gelernt, dass das unter-den-Teppich-Kehren nur unnötig Ressourcen und Glaubwürdigkeit kostet. Lieber offensiv nach Lösungen suchen!
„Tue Gutes und rede darüber.“ (vornehmlich Georg-Volkmar Graf Zedtwitz-Arnim)
Vielfalt bedeutet auch, sich ab und an aus seiner Comfort Zone herauszubewegen und offen für neuen Austausch zu sein. Im Zuge einer Entwurfsbearbeitung für ein Universitätsgebäude, stieß ich auf eine Studie, die besagte, dass Teeküchen am Arbeitsplatz nachweislich den größten teamübergreifenden Austausch förderten – mehr als Meetings oder after Work-Veranstaltungen. Wenn das Publikum darüber hinaus auch noch interdisziplinär war, wurden Teeküchen zu einer Plattform für Synergieeffekte und Entwicklung. Ganz neue Impulse, so ganz nebenbei während man sich einen Kaffee macht. Hervorragend!
Ich wünsche mir eine Arbeitswelt in der Chancengleichheit und Inklusion starke Grundpfeiler von Unternehmensphilosophien darstellen. Und in der Diversität als der Gewinn verstanden wird, der er ist.
Qapla‘! (klingonischer Abschiedsgruß; bedeutet „Erfolg!“)
5 Kommentare
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Wolfgang St.
Hallo Leila,
durch Uli aufmerksam geworden, habe ich mir dieses Statement angesehen. Es sind vielleicht einnige Kleinigkeiten dabei, die ich anders sehe, und manche Begriffe sind mir (noch) nicht geläufig. Dennoch ist dieser Inhalt für mich selbstverständlich. Meine Erfahrung zeigt aber auch, dass eine große Zahl von Menschen (wahrscheinlich die Meisten) mit Deinen Beschreibungen nichts anfangen können. Warum dieses Offensichtliche aber so schleppend vorankommt vergleiche ich gerne mit Tieren. Wir haben Hunde und Katzen, und sie zu beobachten ist interessant. Wenn z.B. ein Hund an einem Stachelhalsband geführt wird und dieser zieht an der Leine, so ist ihm nicht bewusst, dass die Schmerzen durch die Stacheln mit seinem Ziehen zusammenhängen. Wenn eine Katze es geschafft hat, den Ausgang durch eine Katzenklappe zu finden und sie es im Beisein einer anderen Katze tut, versteht i.d. Regel die andere Katze es nicht und kann es auch nicht nachmachen (Ausnahmen möglich). Warum der Mensch, der ja eigentlich denken kann, diese Logik nicht versteht, beschrieb Vera Birkenbihl so gut: Wir Menschen sind alle Gehirnbesitzer, aber nicht Alle Gehirnbenutzer (oder so ähnlich). Ich kann auch noch mehr darüber philosophieren, aber viel lieber würde ich Menschen davon überzeugen. Mach weiter so.
Gute Nacht
gez. Wolfgang 🌸
leila
Hallo Wolfgang,
willkommen auf WhatAboutChu.com 😀 Ich freue mich, Dich als neuen Leser begrüßen zu dürfen und fand es super, einen Kommentar von Dir zu lesen.
Klar, Meinungen und Perspektiven sind immer etwas unterschiedlich und das ist auch gut so, aber ich find’s schon mal sehr schön, dass wir beide im Ganzen die Grundhaltung vertreten, dass Vielfalt etwas spannendes ist! Dass es auf beiden Lagern, links und rechts radikale Haltungen gibt, das weiß ich – leider. Und leider werden Menschen mit Migrationshintergrund für persönliche, unbewältigte Aggressionen instrumentalisiert und entmenschlicht. Aber an die richtet sich der Blog nicht, denn ich will Lösungen schaffen und mich nicht zusätzlich über Ignoranz ärgern. Mir han doch he keene Zick uns aufzuregen 🙂 Es gibt total viele Menschen, die keine Rassisten sein wollen, aber die sich unsicher sind, wie sie antirassistisch handeln könnten, an die und die Neugierigen, die Vielfaltliebenden, die Alltagsentdecker, an die richtet sich dieser Blog. Es gibt viel zu tun und das machen wir jetzt auch! Hoffentlich lesen wir uns bald wieder. ☀️
Uli Klöckener
Das ist ein beeindruckender Text, liebe Laila. Man spürt,wie viel Zeit und intelligentes Nachdenken du investiert hast. Du hast mir wieder Mal einiges zum Nachdenken mitgegeben. Dein Text ist es wert, das viele ihn lesen und sich ernsthaft Gedanken machen. Ich bewundere, wie produktiv du deine Erfahrungen in Kluge Worte umsetzt und wie authentisch deine Überlegungen sind. Ich freue mich schon auf weitere Texte von dir und deine wertvollen Anstöße. Respekt.
leila
Hallo liebe Uli,
vielen Dank für das wundervolle Feedback. Ich habe mich wirklich sehr gefreut!
Ist es nicht erstaunlich, wieviel Erfahrungen man doch sammelt, obwohl einem das eigene Leben immer eher langweilig im Vergleich zu denen der großen Geschichtenerzähler erschien? Hm, ich glaube, dass es ganz viele großartige Geschichten von Menschen gibt, die bisher glaubten, ihr Minderheitenstatus würde sie uninteressant machen. (z.B. Migrationshintergrund, LGBTQIA+, weiblich, mit Behinderung, aus nicht privilegiertem Haushalt,…) Aber die besten Geschichten sind ja dann doch die, in denen man ein bis 1.000 Hindernisse überwinden musste 🙂