Blogeintrag

Das Handbuch für political correctness

political correctness / pc / politically correct / politische Korrektheit

Zusammen mit meiner Cousine kamen wir in unserem letzten Videochat auf das Thema. Sie wohnt und arbeitet in San Francisco als Therapeutin und diskutiert mit Ihren Kollegen viel über Themen wie Empathie und der Bedeutung von Sprache. In ihrem Team wie auch der Stadt selber ist political correctness obligatorisch.
Ich hab mich natürlich gefreut das zu hören. „Toll! Das klingt, als wäre man in SF echt aufgeschlossen.“ Wie muss es wohl sein, in einer Gegend zu leben, in der Diskriminierung lautstark verurteilt wird? Wo nicht von den Diskriminierten verlangt wird, sich eine dickere Haut zuzulegen, sondern den Diskriminierenden über den Mund gefahren wird, weil ihr Verhalten grenzüberschreitend und verletzend ist?
„Naja,“ setzte sie an, „um ehrlich zu sein, werde ich ziemlich oft dafür zurechtgewiesen, dass ich mich falsch ausdrücken würde.“ Ich fiel aus allen Wolken! Meine umsichtige Cousine solle diskriminierende Sprache benutzen?! Das konnte ja gar nicht stimmen. „Es gibt hier eine sehr starke LGBTQIA+ Community (lesbian, gay, bisexual, transgender, queer, intersex, asexuell, and others), sowie ein starkes Geschlechter-Gleichberechtigungsdenken.“ Soweit gefiel mir ihre Ausführung. „Als ich letztens den Raum betrat und alle mit ‚Hi guys‘ begrüßte, wurde mir gesagt, meine Sprache schließe Frauen aus. Besser wäre der Ausdruck ‚folks‘.“
Ich war baff. War die folks-Forderung nicht übertrieben und Streit suchend? … oder hatten die SFer am Ende doch recht? In Deutschland würde man in einer solchen Situation ja auch eher ‚Leute‘ sagen.
Sie fuhr fort: „Als ich dann letztens eine Gruppe von Menschen mit lateinamerikanischem Hintergrund benennen wollte, sagte ich ‚Latinos‘. Aber das war nicht korrekt.“ Jetzt war ich vollkommen aufgeschmissen. Was wäre also richtig gewesen? „Latinx“, antwortete sie, „das ist nicht geschlechterspezifisch wie die Endung -os oder -as.“ Ah, wieder was gelernt.
Ich finde Momente wie das Gespräch mit meiner Cousine, in denen mir meine eigene Ignoranz vor Augen geführt wird, sehr erfrischend. Sie erden einen und erinnern mich daran, dass meine/unsere Alltags-Diskriminierung aus Unwissenheit und Mitläufertum entsteht. Das beruhigende daran ist, dass mit nur ein wenig Aufklärung und Eigenverantwortung diesen Defiziten entgegengewirkt werden kann.

Es gibt natürlich auch die Situationen, in denen ich ganz klar mit einem rassistischen Menschen spreche, der keinerlei Intention hat, seine diskriminierenden Ideologien abzulegen. Ich werde manchmal in solche Gespräche verwickelt, weil mein gegenüber Absolution sucht. Das sieht dann in etwa so aus: „Ich bin ja echt kein Rassist, aber ich hab ein paar Schüler/Nachbarn/Kollegen, die sind faul/stinken/bedrohlich und kommen natürlich aus [irgendein nicht-deutsches Land], aber weil ich ein guter Mensch bin, hab ich mich lange zurückgehalten und nichts gesagt. Dann ist mir aber die Hutschnur geplatzt und ich habe diesen [total rassistisches Schimpfwort] meine Meinung gegeigt. Und dann kam nur zurück, ich sei ein Rassist. Ja ja, dann wurde mal wieder die Rassistenkarte gezogen!“ hm.

In einem Sommer wurde ich zu einem privaten Fest geladen, bei der ich die Gastgeber kurz vorher kennengelernt hatte. Die Gäste waren alle der Musikrichtung entsprechend gekleidet, die sie verehrten. Und so wie ich das überblickte, war ich die einzige nicht-weiße unter etwa 150 Gästen. Also stach ich entsprechend heraus. Als geselliger Mensch mischte ich mich unter das Volk, fand es aber etwas mühsam den Gesprächen zu folgen, die anfingen mit dem mitgebrachten Essen und überleiteten zu dem Ausländerpack, das auf dem Weg hierher in einer Gruppe zusammenstand und überhaupt ein Ärgernis im Heimatort wären. (Ich musste gerade selber über die Überspitztheit lachen, aber you get the point.)
Später stand ich mit einem jungen Mann zusammen, der einen begeisterten Monolog über Odin abhielt und mich dann interessiert frug: „Sag mal, kannst du Deutsche überhaupt auseinanderhalten?“ Ich sah ihn verdutzt an. Er: „Naja, weil Asiaten sehen ja für uns auch alle gleich aus. Ist das bei dir auch so mit uns Deutschen?“ [Crickets]

Im Januar nahm ich an der Regionalkonferenz „Inklusiv gestalten“ für Architekten und Stadtplaner teil. Der Beauftragte der Bundesregierung für die Belange von Menschen mit Behinderungen, Jürgen Dusel hatte eine klare Haltung zum barrierefreien Bauen: Die Gestaltung von Architektur und Stadt den Bedürfnissen der Menschen mit Behinderung und auch alten Menschen anzupassen, sei keine Gefälligkeit, sondern ein Abschaffen von Diskriminierung im Gestaltungsprozess.
Warum sagt er das? Weil barrierefreies Bauen (=Planung ohne Barrieren für z.B. Rollstuhlfahrer oder Menschen mit Seh-/Hörbehinderung) von den Ländern nur in Teilbereichen einiger öffentlicher Gebäude und Plätze gefordert und finanziell gefördert wird. Wir bauen also hauptsächlich für die körperlich uneingeschränkten, jungen Menschen. Und obwohl der demografische Wandel eine klare Überalterung anzeigt, passen wir die Architektur nicht entsprechend an. Noch nicht zumindest.
Innerhalb des Spektrums von Diskriminierung bis Inklusion geht es um die persönliche Frage, mit welcher Haltung wir leben wollen – unabhängig von der Thematik.
Wenn wir z.B. heute nur für das junge Selbst bauen, fördern wir eine Welt, an der wir im Alter nicht mehr Teil nehmen können.
Wenn wir allgemein Diskriminierung nicht korrigieren wollen, etablieren wir eine Ordnung, welche die Gemeinschaft bewusst in ‚wir und die‘ unterteilt und in der wir wiederum anderen überlassen müssen, zu welcher Kategorie wir gehören.
Sobald wir anderen vorschreiben, wann sie sich von uns diskriminiert fühlen dürfen und wann nicht, erstellen wir ein System, in dem zu jeder Zeit ein anderer über unsere Gefühle bestimmen darf.
Political correctness als eigenen Anspruch anzunehmen, ist also durchaus nicht uneigennützig.

Und wo ist nun das oben angekündigte Handbuch zum fehlerfreien Nachschlagen?
Tja, das gibt es nicht. Und was nützte es auch?
Pc ist im Wandel, weil es Teil der Inklusion und Teil der Gesellschaft ist, die sich stets weiterentwickelt; und sie ist so individuell wie die Menschen und ihre Beziehungen zueinander.
Als Studentin arbeitete ich in einem Club im Herzen Darmstadts. Die Arbeit machte mir Spaß, die Crew war liberal und das Publikum meist fröhliche Studenten in Feierlaune. Bei einer unserer legendären Schwulen- und Lesbendiskos übernahm ich die Garderobenschicht. Da ich mich auf einen entspannten und friedlichen Abend einstellte, war ich umso geschockter, als ein junger Gast mit hoch gegeltem Haar vor mir genervt ausrief: „Jetzt mach schneller, Schlitzie, ich will endlich reingehen.“ Mit dem Stolz einer Koreanerin und dem Mundwerk einer Kölnerin feuerte ich sofort zurück, dass er bei diesem rassistischem Scheiß den Laden auf der Stelle verlassen könnte und wie er dazu käme so mit mir zu sprechen. Er starrte mich zwei Sekunden an, bevor er mit dem Finger zwischen sich und seiner Begleiterin hin und her zeigte und verwirrt erklärte, dass er mit ‚Schlitzie‘ seine platonische Freundin gemeint hatte. „Wegen Schlitz“, sagte er und machte dabei eine Geste entlang dem Schoß.
Ich liebe diese Geschichte, denn es war einer der besten Missverständnisse meines Lebens. (Definitiv der beste in der Rubrik Semantik.) Und sie zeigt, dass pc kein Standardwerk sein kann. Sie ist eine einvernehmliche Vereinbarung zwischen Menschen, die sich auf Augenhöhe begegnen.

Es ist doch so: was wir entscheiden auszusprechen, sagt selten etwas über den anderen aus, aber immer etwas über uns selbst. Die Regeln für pc, denen wir folgen, spiegeln die Werte wider, die wir zum Bestandteil unserer Identität gemacht haben; und sind unsere persönliche Antwort auf die aktuelle, uns umgebende Welt.
Anti-Diskriminierung ist also kein Vokabelheft. Inklusion ist nicht statisch. Pc fängt damit an, die Welt um sich herum wahrzunehmen, den Dialog zu suchen und sich auf eine Sprache zu einigen, bei der ‚die‘ zu ‚wir‘ werden.

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